Wird der Wald gegen die Windkraft ausgespielt?

Naturschutz in Niedernhausen in der Diskussion

In Niedernhausen ist der Wald in letzter Zeit mehrfach in die Schlag­zeilen geraten: zum einen durch die Diskussion über mögliche Windkraftstandorte, zum anderen im Zusammenhang mit der Kehrtwende der Gemeinde, die Anfang dieses Jahres von ihrem Beschluss aus dem Jahr 2007 abgerückt ist, Waldflächen stillzulegen und eine strengere Zertifizierung der Waldbewirtschaftung anzustreben. Die Hintergründe und Begriffe rund um diese Themen sind jedoch nicht immer ganz klar, wie die NABU-Gruppe Niedernhausen in Gesprächen mit Bürgern erfahren hat.

Begriffsklärung

Der Begriff „Waldstilllegung“ ist kein fester Begriff. Er besagt, dass eine Waldfläche aus der Nutzung genommen wird und sich so entwickeln kann, wie es die Natur vorgibt. Der Be­griff ist aufgekommen, seit das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) die Bundesländer dazu anhält, „ein Netz verbundener Bio­tope“ zu schaffen, das 10% der Landesfläche umfassen soll (siehe §§20 und 21 BnatSchG, Fassung vom 29.7.2009). In ihrer „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ hat die Bundesregierung 2007 das Ziel formuliert, dass 2020 der „Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung 5% der Waldfläche“ betragen soll. Zurzeit machen forstwirtschaftlich nicht genutzte Wälder hierzulande weniger als 1% der Waldfläche aus. Dabei haben sie einen besonderen Wert für den Natur- und Artenschutz und die Forstwirtschaft. Langfristig können auf solchen Flächen standortangepasste Urwälder entstehen, wie sie einst für Mitteleuropa typisch waren. Forstwirte und Ökologen können durch die Beobachtung der Flächen wichtige Erkenntnisse über die Abläufe und ökologischen Zusammenhänge im Wald gewinnen.

Für eine Waldstilllegung gibt es im Wesentlichen drei Gründe:

  1. ökologische Gründe (Naturschutz):
    Eine Stilllegung erfolgt hier freiwillig durch den Eigentümer. Ziel ist es, die Artenvielfalt zu steigern. Da die Stilllegung freiwillig erfolgt und es sich nicht um eine rechtlich festgeschriebene Fläche handelt, kann eine solche Waldfläche jederzeit umgewandelt werden, z.B. für die Nutzung als Windkraftstandort oder als Straße.
  2. Pflichtmaßnahme:
    Wegen eines Eingriffs in die Natur, z.B. bei der Ausweisung von Windkraftstandorten, kann der Eigentümer Waldflächen als sog. Kompensationsmaßnahme (Ersatzmaßnahme) stilllegen.
  3. (selten) Ertragsgründe:
    Flächen werden stillgelegt, weil die Kosten einer Bewirtschaftung deut­lich höher sind als die Erträge aus der Holzvermarktung. Solche Flächen können sich jedoch wegen der hohen Nachfrage und des steigenden Holzpreises möglicherweise wieder für eine Bewirtschaftung rechnen.

Ein weiterer Begriff ist „Zertifizierung“. Ist ein Wald nicht stillgelegt, sondern bewirtschaftet, kann er bzw. seine Bewirtschaftung zertifiziert werden. Die Bundesregierung hat 2007 das Ziel definiert, dass bis 2010 „80% der Waldfläche nach hochwertigen ökologischen Standards“ zertifiziert sein sollen. Das Zertifizieren von Waldflächen geht nur im Ganzen und ist eine freiwillige Maßnahme, deren Kosten von der Waldfläche abhängen und vom Eigentümer getragen werden, der mit dem Zertifikat belegt, dass sein Engagement für seinen Wald deutlich über den hohen rechtlichen Standards liegt. Der Verbraucher kann so beim Kauf von Holzprodukten erkennen, ob diese umwelt- und sozial­ver­träg­lich hergestellt wurden. Mit einem solchen Siegel können höhere Preise auf dem Holzmarkt erzielt werden. Gängig sind die Richtlinien des PEFC (Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes) und des FSC (Forest Steward Council). Aus Sicht des NABU-Bundesverbandes steht nur das FSC-Siegel für eine nachhaltige sowie umwelt- und sozialverträgliche Waldbewirtschaftung. Nachhaltig bedeutet hierbei, dass bei der Bewirtschaftung nur so viel Holz geschlagen wird, wie wieder nachwächst. FSC-zertifiziertes Holz ist in Deutschland derzeit jedoch Mangelware, während zugleich die Nachfrage weiter steigt, so das Ergebnis einer vom NABU-Bundes­verband in Auftrag gegebenen Studie von 2011. Die Einhaltung der Standards wird im Falle von FSC vor der Zertifikats­vergabe und später in regelmäßigen Abständen von unabhängigen Zertifizierern in jedem Forstbetrieb, der sich den Richtlinien unterworfen hat, geprüft. Diese Berichte können eingesehen werden.

Die Waldstilllegung wie auch die Zertifizierung sind also freiwillige Leistungen der Eigentümer, die meist einen erheblichen Beitrag zum Naturschutz leisten, vor allem, wenn die Flächen für eine Stilllegung nach ökologischen Gesichtspunkten ausgewählt werden, wenn es sich z.B. um wertvollen Waldbestand handelt.

Jüngste Entwicklung in Niedernhausen

Am 26. September 2007 hatte die Gemeindevertretung Niedernhausen freiwillig beschlossen, eine Waldfläche von ca. 100 ha „ausschließlich nach ökologischen (Naturschutz-)Kriterien“ für eine Stilllegung auszuwählen und zudem eine Waldzertifizierung nach den strengeren Richtlinien gemäß FSC anzustreben. Ein Ausschuss hatte daraufhin drei Flächen als geeignet erachtet und dabei eine Fläche am Lenzenberg bei Engen­hahn favorisiert (die jedoch nicht wie ursprünglich beschlossen nach rein ökologischen Aspekten ausgewählt worden war, sondern ohnehin einen geringeren Holzertrag bei der Bewirtschaftung und weniger Erschließungswege als andere Waldflächen aufwies).

Jahre vergingen, doch die Stilllegung wurde nie umgesetzt. Stattdessen hat die Gemeindevertretung in ihrer Doppelsitzung am 8. und 9. Februar dieses Jahres den Beschluss von 2007 wieder zurückgenommen. Wie ein Artikel im „Wiesbadener Kurier“ vom 18. Februar 2012 suggeriert, fiel diese Entscheidung rein aus ökono­mischen Gründen, nämlich um sich „ein Flächenpolster für den Bau von Windkraftanlagen“ zu erhalten, wie es im Artikel heißt. Interessant ist dabei der Blick auf aktuelle Karten des Regierungspräsidiums Darmstadt zu den „Suchräumen“ für Wind­kraftanlagen, die aufgrund der herrschenden Windverhältnisse als mögliche Standorte für Windräder überhaupt infrage kommen würden. Im Gemeindegebiet Niedernhausen ist auf diesen Karten der Lenzenberg gar nicht als potenzieller Standort ausgewiesen. Ausreichende Windgeschwin­dig­keiten herrschten demnach einzig auf der Hohen Kanzel und dem Buchwaldskopf, was auch auf vielen Windkraft-Veranstaltungen in Niedernhausen in den vergangenen Wochen immer wieder betont wurde.

NABU-Gruppe hofft auf ein (erneutes) Umdenken

Aus Sicht der NABU-Gruppe Niedernhausen scheint es daher, als wurde die sehr hoch anzusiedelnde Naturschutzmaßnahme einer Waldstilllegung aus politischen Gründen und möglicherweise als Zugeständnis an die Jagdlobby aufgehoben. Die Jäger in Engenhahn hatten nach dem Beschluss von 2007 Einschränkungen befürchtet. Eine Ablehnung der Stilllegung aus jagdlicher Sicht oder auch aus Gründen der Erholung ist nach Meinung der NABU-Gruppe Niedernhausen jedoch unbe­grün­det. Die Jagd wäre in stillgelegten Flächen nach wie vor möglich, wenn auch nur in Form von Drück- und Treibjagden statt vom Hochsitz aus. Ein Verzicht auf Nebenwege im Wald sollte auch für die Erholung­suchenden kein Problem sein, da ein umfangreiches Hauptwegenetz weiterhin zur Verfügung stünde.

Mit ihrer Abkehr von den Beschlüssen aus dem Jahr 2007 hat die Gemeinde Niedernhausen nach Ansicht der NABU-Gruppe Niedernhausen die Chance für einen ökologisch wertvollen Beitrag vertan. Die NABU-Gruppe bedauert dies sehr und fordert die Gemeinde auf, diese Themen wieder aufzugreifen. Schließlich haben sich 2007 auch alle Ortsbeiräte – ausgenommen der von Engenhahn – grundsätzlich für eine Stilllegung ausgesprochen. Für eine Stilllegung würde sich vor allem eine Fläche anbieten, die 2007 ebenfalls im Gespräch war: eine Waldfläche oberhalb des Theißtals, die von ihrer Waldstruktur her die besten Bedingungen für einen Naturwald bietet und mit ihrem hohen Buchenanteil und dessen Altersstruktur die ökologisch wertvollste Fläche ist. Zudem würde sich hier die einzigartige Möglichkeit der Vernetzung mit dem FFH-Gebiet des Wiesbadener Waldes bieten, sodass eine große zusammenhängende Fläche geschützt wäre.

Niedernhausen könnte ohne Weiteres eine Reduzierung der Waldbewirtschaftungsfläche um 10% verkraften, schließlich entfallen rund 60% der Gemeindefläche auf Wald, während es in Deutschland im Durchschnitt nur knapp 30% sind. Gerade der Wald ist neben den Streuobstwiesen das wichtigste Naturgut in Niedernhausen. Wälder sind komplexe Ökosysteme und bieten auf mehreren Etagen jede Menge Klein- und Kleinst­lebensräume. Hier leben zudem viele „Spezialisten“, die nur ganz bestimmte Baumarten, ganz bestimmte Al­ters­phasen oder sogar nur ganz bestimmte Zersetzungsphasen als Lebensraum nutzen können. Optimale Voraussetzungen dafür bieten gerade stillgelegte Wälder, die auch älteren Baumbestand aufweisen.

Weiterführende Links zum Thema:

 

Bundesumweltministerium „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“:

http://www.bmu.de/naturschutz_biologische_vielfalt/downloads/publ/40333.php

 

NABU-Themenseite „Lebensraum Wald“:

http://www.nabu.de/themen/wald/

 

NABU-Strategiepapier „Waldwirtschaft 2020“:

http://www.nabu.de/themen/wald/hintergrundinfos/waldwirtschaft2020.html

 

NABU-Studie „Bedarf an FSC-zertifizierten Rohstoffen:

http://www.nabu.de/themen/wald/zertifizierung/fsc/14769.html

 

Artikel im „Wiesbadener Kurier“ vom 18.2.2012: „Gemeindeparlament in Niedernhausen beschließt, Waldfläche für den Bau von Windrädern zu erhalten“:

http://www.wiesbadener-kurier.de/region/untertaunus/niedernhausen/11678102.htm